Swing tanzen verboten

 
 

Das Dritte Reich und das Medium Film

von Hubert Ruch
 
 
"Bei den gefährlichen Auswirkungen des Films hat der Staat die Pflicht, regulierend einzugreifen."  (J. Goebbels)
 
  Die Dreharbeiten zum Film 'Der Kaiser von Kalifornien' hatten für den Schauspieler Friedrich Gnaß ein ernstes Nachspiel. Auf der Rückfahrt mit dem Schiff aus den USA soll er in betrunkenem Zustand wüste Drohungen gegen Adolf Hitler ausgestossen haben. Er wurde im Herbst 1936 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Die mit ihm gedrehten Szenen wurden aus dem Film entfernt.

 
 
    Inhalt
 
     
  1.   Das Dritte Reich und das Medium Film
Manipulative Eigenschaften des Mediums Film
Film als Propagandainstrument hat Geschichte
Ziele und Struktur des NS-Filmwesens
 
  4.   Veit Harlan
Karriere, Jud Süss, Anklagen
 
  2.   Situation der Filmemacher unter dem NS-Regime
Persönliche Verantwortung und Rahmenbedingungen
 
  5.   Ein möglicher Schluß
 
  3.   Leni Riefenstahl und Triumph des Willens
Zur Person Leni Riefenstahl
Nationalsozialistische Film-Ästhetik
Zur Bedeutung des Films 'Triumph des Willens'
 
  6.   Quellen
 
 
 
 
 
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1.  Das 3. Reich und das Medium Film

 

  Das Medium Film war für die national-sozialistische Propagandamaschinerie eine ideale Plattform. Die speziellen Eigenschaften dieses Mediums mit seiner unbewußten, gefühlsmässigen Wirkung, erlauben nicht nur weitgehende Manipulationen des Zuschauers. Die verzerrte Abbildung von Realität ist sogar unvermeidlich, weil durch Bildauswahl und Montage immanent.

Hinzu kommt eine beliebige Reproduzierbarkeit zum Zwecke massenhafter Verbreitung. Unabhängig von rationaler Reflexion, erlauben Bilder anhaltende emotionale Beeinflussung breiter Bevölkerungsschichten. Gemeinsam mit dem Gebot der penetranten Repetierung ergibt sich daraus auch schon die universelle Formel für effiziente Propaganda: emotionalisierende Ansprache, einfache Parolen und ständige Wiederholung.

Die Nazi-Führung erkannte sehr früh die massenpsychologischen Möglichkeiten, die sich aus einer zentral gesteuerten Nutzung des Instrumentes Film ergaben. Bereits in 'Mein Kampf' beschrieb Hitler die propagandistische Bedeutung von Bildern im Allgemeinen und Film im Besonderen. Seine Erkenntnis kann leicht zusammengefasst werden:

In der Hierarchie der manipulativen Potenz steht das gesprochene Wort über dem geschriebenen - das Bild steht an der Spitze.

Film als Propagandainstrument ist allerdings keineswegs eine Erfindung der Nazis oder deren medien-engagierter Helfershelfer. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik entstand 1917 auf Drängen General Ludendorffs die Ufa (Universum Film A.G.). Zweck dieses Joint-Ventures der wichtigsten Filmgesellschaften war eine 'generalstabsmässige' Reichs- und Kriegspropaganda. (Auch andere Länder, z.B. die USA, wussten bereits damals das Medium für ihre Ziele - in dem Fall gegen das deutsche Kaiserreich - zu nutzen.)

Kurz nach der Machtergreifung Hitlers wurde das 'Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda' mit eigener 'Hauptabteilung Film' gegründet. Joseph Goebbels als oberster Dienstherr umriß die Ziele dieser Behörde mit dem Statement, es gäbe zwei Arten, Revolution zu machen - entweder den Gegner mit Maschinengewehren zusammenzuschiessen oder ihn mit einer Revolution des Geistes für sich zu gewinnen.

 
 
    Es sollte sich herausstellen, daß beide Wege mit erschreckendem Erfolg beschritten wurden. Mit einer sustanziell beschränkten aber einprägsamen und zum Volksglauben erhobenen Ideologie gelang der Naziführung unter Goebbels Regie und mit einem Heer pflichterfüllender Kalfaktoren die totale Gleichschaltung.

Diese Vorgehensweise bediente sich sowohl massenpsychologischer Vordenker, wie z.B. Gustave Le Bon ('Psychologie der Massen') als auch moderner Medientechnik und weitverzweigter Organisationsstrukturen.

Besonders die organisatorischen Faktoren waren für die Filmschaffenden dieser Zeit beruflich und künstlerisch entscheidend. Freie, unzensierte Filmproduktion war unmöglich. Goebbels stellte schon kurz nach seiner Ernennung zum Propagandaminister unmißverständlich klar: "Bei den gefährlichen Auswirkungen des Films hat der Staat die Pflicht, regulierend einzugreifen."

Mit dem 'Gesetz über die Errichtung einer vorläufigen Filmkammer' vom Sommer 1933 und dem im Herbst folgenden 'Reichskulturkammergesetz' nahm die fortschreitende Kontrolle über das deutsche Filmwesen seinen Lauf. Die Mitgliedschaft in der Reichsfilmkammer als einer Unterabteilung der Reichskulturkammer war Grundlage der Berufsausübung. Verträge mit jüdischen Mitarbeitern konnten frist- und grundlos gekündigt werden.

  Der Wirkungsbereich der Filmzensur, die schon seit der Weimarer Zeit bestand, wurde mit der Neufassung des Lichtspielgesetzes im Frühjahr 1934 drastisch erweitert. Goebbels erhielt dadurch das Recht, unabhängig von der regulären Zensur, Filme aus den Kinos zu nehmen oder sie zur Vorführung zu bringen. Ein Reichsfilm-Dramaturg konnte außerdem jederzeit die Produktion eines Filmes stoppen bzw. sich die Drehbücher in jedem Stadium ihrer Bearbeitung zur Kontrolle vorlegen lassen.

Somit war es möglich, nicht nur vor und während der Produktion sondern auch nach Fertigstellung des Filmes Einfluß zu nehmen. Die rasch angestrebte Verstaatlichung der Filmindustrie fand ihren überraschenden Höhepunkt in der Übernahme des Film-Oligopols Ufa. Die Regierung hatte anonym Aktien aufgekauft, um 1942 daraus die reichseigene Ufa-Film-GmbH (Ufi) zu gründen.

Gemeinsam mit einem straff organisierten Partei-Filmwesen mit über 22.000 Ortsgruppen-Filmstellen und über 800 Tonfilmwagen (komplett ausgestatteten rollenden Kinos) konnte nun die Verbreitung von Filmprodukten durchgehend kontrolliert werden.

Unabhängige Filmkritik wurde schon kurz nach der Verabschiedung des Lichtspielgesetzes ausgeschaltet, und Journalisten und Publizisten waren dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gegenüber weisungsgebunden.

 
 
 
 
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2.  Situation der Filmemacher in der Zeit des NS-Regimes

 

  Oft taucht im Zusammenhang mit dem Thema 'Filmemacher und NS-Regime' die Frage nach persönlicher Verantwortung der Künstler und Künstlerinnen bzw. der Vorwurf einer moralischen Schuld auf. Die Forderung, diese Künstler für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen, scheint auf den ersten Blick legitim, sind jene doch zum Teil wesentlich an der massenpsychologischen Wegbereitung eines der düstersten Kapitel der Weltgeschichte beteiligt.

Beispielsweise wird dies der Regisseurin Leni Riefenstahl unterstellt. Besonders bei Betrachtung ihres Films 'Triumph des Willens' fällt es schwer, Leni Riefenstahl nicht als Apologetin des Führerkults zu sehen. Sie selbst weist derartige Vorwürfe hingegen weit von sich und leugnet auch jede Verantwortung mit der Begründung, sie sei Künstlerin und interessiere sich allein für Kunst. Da sie keine politischen Absichten verfolge, obliege ihr auch keine politische Verantwortung für ihre Werke.

Unzweifelhaft gilt es heute als Ideal, die volle Verantwortung für seine Handlungen und deren Folgen zu übernehmen, sei es als Wissenschaftler, Künstler oder Bürger. Die nachträgliche (!) Postulierung eines moralischen Imperativs ist selbst jedoch mit einigen historischen und ethischen Schwierigkeiten verbunden.

- Sind alle Fakten über die genauen persönlichen Umstände der Betroffenen bekannt? Falls ja, gab es überhaupt Handlungsoptionen?

- Wer, außer der betroffenen Person selbst, hat das Recht, über akzeptable Handlungen mit möglicherweise schwerwiegende Folgen für die Person zu entscheiden? Bis zu welchem Punkt kann die Bereitschaft, Sanktionen in Kauf zu nehmen, um moralischen Gesichtspunkten zu genügen, verlangt werden?

- Welche ethischen Normen müssen/können angelegt werden? Zeitgenössische oder aktuelle? Und wie können diese verbindlich und vergleichbar definiert werden?

  Wie sich zeigt, wirft die Untersuchung zur Situation der Filmemacher in dieser Zeit automatisch eine ganze Reihe von weiteren Fragen auf, die z.T. nicht an dieser Stelle beantwortet werden können, die aber entscheidend für eine abschliessende Bewertung wären. Dies läßt es für den Autor ratsam scheinen, sich in der wissenschaftlichen Analyse der Geschehnisse hauptsächlich auf eine deskriptive Bearbeitung zu beschränken und persönliche Bewertungen, als solche exakt gekennzeichnet, nur sehr sparsam anzumerken. Daher kann es nur Aufgabe dieses Textes sein, Fakten zusammenzutragen, die eine individuelle Einschätzung der damaligen Situation ermöglichen - und gleichzeitig Überlegungen über mögliche ethische Faktoren anzustellen, ohne die Rolle eines Tribunals zu übernehmen.

Mitunter wird angeführt, die Greueltaten oder allgemein menschenverachtende Politik der Nazis seien nicht bekannt gewesen. Tatsächlich ist heute nur schwer nachzuvollziehen, in wieweit einzelne Künstler über den Terror informiert waren. Dies mag verharmlosend klingen, trägt mithin allein der Tatsache Rechnung, daß sowohl politisch-gesellschaftlich Privilegierte als auch Künstler oft in eigenen Sub-Realitäten leben. Da allerdings das Konzept nationalsozialistischer Propaganda, an möglichst breiter gesellschaftlicher Front zu wirken, von allen Partei- und Staats- und Medienorganen konsequent umgesetzt wurde, kann dieses Argument als Rechtfertigung für Mitläufertum kaum gelten.

Hinzu kommt, daß Schikanen, Verhaftungen und verschiedenste Ereignisse, wie z.B. die Bücherverbrennung (1933) oder später die Reichskristallnacht (1938), den radikal antidemokratischen und gewalttätigen Standpunkt der faschistischen Bewegung eindeutig belegten. Außerdem waren deren Ziele in Hitlers 'Mein Kampf' schon früh festgeschrieben und, so schreibt Hilmar Hoffmann, mit über zwei Millionen Exemplaren weit verbreitet.

  Unschuldheischende Ahnungslosigkeit kann daher bestenfalls als naive Verdrängung gewertet werden, keinesfalls aber als haltbarer Grund für aktives Engagement pro Diktatur.

Arthur Maria Rabenalt erzählt in seiner Publikation 'Joseph Goebbels und der großdeutsche Film' von zahlreichen Intrigen, beauftragten oder selbsternannten Spitzeln und amourösen Nachstellungen mit denen Goebbels in grossherrschaftlicher Manier Regie über 'sein' Filmvolk führte. Vieles davon bleibt unbewiesen - allein die Vielzahl der aufgeführten Beispiele/Schicksale läßt vermuten, wie schwierig es für die Beteiligten gewesen sein muß, zwischen Willkür und Zensur den eigenen kreativen, die persönliche Integrität wahrenden Weg zu finden.

Auch heute zeichnet sich das Filmgewerbe nicht gerade durch mönchische Konventionen aus; es macht aber einen deutlichen Unterschied, ob man bei (gedachter oder tatsächlicher) Schikane im äußersten Fall den Arbeitgeber wechselt oder von einer allmächtigen, zentralen Führung mit Berufsverbot, Kriegsdienst oder Inhaftierung bedroht wird.

Ein besonderes Kapitel Goebbelschen Führungsstils ergibt sich aus dessen Vorliebe, die Besetzungslisten der Filmproduktionen zum Teil weniger nach künstlerischen Kriterien als nach persönlicher Dienstbarkeit der dort Aufgeführten zu genehmigen.
 
Zu dieser Praxis zitiert Rabenalt Goebbels mit dem Slogan: "A fesche Jüdin is no lang ka Jud!".
 

 
 
 
 
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3.  Leni Riefenstahl (geb. 22.08.1902)

 

  In der Dokumentation 'Die Macht der Bilder' von Ray Müller z.B. beschreibt sie selbst, wie sie, damals noch Tänzerin, im Kino einen Bergfilm von Arnold Fank sieht und beschließt, Schauspielerin zu werden. Sie reist Fank vergeblich hinterher, trifft dabei aber auf Luis Trenker, welcher daraufhin den Kontakt zu Fank herstellt.   Die junge, attraktive Riefenstahl erhält sofort die Hauptrolle im nächsten Film - 'Der heilige Berg'. Später bei den Arbeiten zu den Parteitagsfilmen beschwerte sie sich bei Adolf Hitler persönlich, wenn ihr an manchen Stellen die geforderte Unterstützung nicht zuteil wurde. Es war riskant, der Riefenstahl zu widersprechen und daraus machte sie keinen Hehl.   Nach der Nazi-Ära behauptet sie (siehe Ray Müllers Dokumentation), niemals in engerem Kontakt zu Hitler gestanden zu sein, was jedoch eindeutig widerlegt werden konnte.
 
Filmographie als Darstellerin:

- Stummfilme: Der heilige Berg (1926), Der große Sprung (1927), Das Schicksal derer von Habsburg (1929), Die weisse Hölle von Piz Palü (1929, Regie: Fank, Co-Regie: G.W.Pabst)

- Tonfilme: Stürme über dem Mont Blanc (1930), Der weisse Rausch (1931), SOS-Eisberg (1932-33)

Regiearbeiten:

- Spielfilme:

  • Das blaue Licht (1932, Rolle der Junta und erstmals Regie)
  • Tiefland (zw. 1941 und 1954)
- Dokumentarfilme:
  • Sieg des Glaubens (1933, 5. Parteitag)
  • Triumph des Willens (1934, 6. Parteitag) 30 Kameramänner. Der Auftrag kommt vom olymp. Komitee, das Geld (über Umwege) vom Propagandaministerium. "Es gab ja nur diese 2 Motive - es gab den Hitler und das Volk", "Arbeit und Frieden - das sind die Botschaften im Film "Triumph des Willens" (Leni R. im Interview in "Die Macht der Bilder" von Ray Müller, Doku, 1993). Auszeichnungen: Nationaler Filmpreis von Deutschland (1935), Goldmedaille der Bienale von Venedig (1936), Goldmedaille im Grand Prix der Internationalen Ausstellung der Künste und Technik in Paris (1937)
  • Tag der Freiheit, 1935
  • Olympia - Fest der Völker - Fest der Schönheit (1936)  Filmtechnische Neuerungen: Kameragruben, Kameras an kl. Ballons, Turmsprünge wurden rückwärts montiert d.h. vom Wasser auf den Turm, Bildern der Segelregatta wurden, beim Training vorgedrehte Szenen, eingefügt. Die Regisseurin regierte während dieser Produktion über einen Stab von 170 Mitarbeitern, darunter 30 Kameramänner. 400 Kilometer Film wurden verbraucht. Goldener Löwe der Bienale in Venedig.

Zahlreiche unvollendete Filmprojekte.
 
4 Fotobände (zw. 1973 - 1978)

 

Nazionalsozialistische Film-Ästhetik?
 
  Leni Riefenstahl setzte die Botschaften der faschistischen Propagande meisterhaft in filmische Bilder um. In wie weit genau sie damit eine sogenannte 'Faschistischen Ästhetik' aus eigener Überzeugung mitbegründete oder ob sie es vielleicht nur intuitiv verstand, das relativ junge Medium Film innerhalb der damaligen kulturellen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln, bleibt unklar. Die Betonung des Großen, Starken, Gesunden und Ausklammerung des vermeintlich minderwertigen Schwachen zieht sich jedenfalls durch ihre gesamte Arbeit bis hin zu ihren späteren Foto-Arbeiten in den 70er Jahren, z.B. bei den Nuba.   Die optische Darstellung der Nazi-Ideologie bezieht viele ihrer Elemente aus altgermanischem Brauchtum, indischer Symbolik und mythischer Vorzeit. Das Ursprüngliche, Unverfälschte, (ethnologisch konstruierte) rein Arische wird betont. Als gäbe es eine auserwählte Rasse, deren überragende Eigenschaften sich als Quelle erhabenen Geistes und unbesiegbarer Kraft offenbaren, sobald man alles Fremde, Interkulturelle und somit Unreine entfernt. Gleichzeitig siegt das Kollektive über das Individuelle. Persönliche Freiheit ist Ketzerei. Sich in der Masse geborgen zu fühlen, bedeutet, an der kollektiven Kraft teilzuhaben.   Diese Vorstellung entstammt einer bizarren Verdrehung des altindischen Glaubens an das Zusammenspiel von Atman und Brahman - der Einzelseele, die sich individuell wähnt, doch in Wirklichkeit nur unbedeutender Teil der kosmischen Weltseele ist. In der umfassenden Manipulation der nationalsozialistischen Welt sollen alle beängstigenden Gefühle von Schwäche, Einsamkeit und Unzulänglichkeit verschwinden, wenn das Individuum im wunderbaren All-Eins der deutschen Volksseele aufgeht.
An diesem ideologischen Gerüst orientiert sich faschistische Ästhetik und benutzt zu deren propagandistischer Umsetzung verschiedene Metaphern, welche im folgenden am Beispiel Leni Riefenstahls Film 'Triumph des Willens' dargestellt werden.
 

Besondere Bedeutung des Films 'Triumph des Willens'
 

  Triumph des Willens, die Verfilmung des Reichsparteitags der NSDAP von 1934, erlangte im In- und Ausland enorme Anerkennung. Manche nennen ihn den besten Propagandafilm aller Zeiten. Internationale Auszeichnungen u.a. in Venedig und Paris belegen die unbestrittene, künstlerische Qualität.

Dieser außergewöhnliche Film (selbst Leni Riefenstahl nennt das Werk einen 'Film' und nicht 'Dokumentation' - die Bezeichnung Dokumentation beschriebe auch nur sehr unzulänglich den eigentlichen Charakter) verdient es, hier einer näheren Betrachtung unterzogen zu werden. Er bedient sich nicht nur z.T. extrem aufwendiger und außergewöhnlicher Mittel, Riefenstahl kann durchaus für sich in Anspruch nehmen, neue filmische Mittel erfunden und meisterhaft umgesetzt zu haben.

  Vielleicht mehr noch als ihr erlerntes Wissen, setzte Leni Riefenstahl dabei all ihre Energie und visionäre Kraft dazu ein, den sechsten Parteitag der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) filmisch zu einem Ereignis von unbeschreiblicher Bedeutung und Größe werden zu lassen. Bei ihrem Mentor und Lebensgefährten Arnold Fank hatte sie zuvor, nach ihrer Ausbildung als Tänzerin und mehreren Filmrollen, das Filmhandwerk erlernt. Erfahrungen als Regisseurin konnte sie jedoch kaum vorweisen.

Aus verschiedenen Berichten von Zeitzeugen und eigenen Äußerungen geht hervor, wie Ehrgeizig, Zielstrebigkeit und künstlerisches Talent hier mit einem fast unbegrenzten Budget zusammentrafen und dieses letztlich auch äußerst geschickt zu nutzen wußten. Schon früher in ihrer Karriere bewies diese außergewöhnliche Frau Kreativität und Durchsetzungswillen.

  Adolf Hitler, der das Image des Einzigartigen und Unnachahmbaren nicht gefährden wollte, lehnte es ab, seine Person in Spielfilmen verkörpern zu lassen. Obwohl nach eigenem Bekunden selbst großer Liebhaber des Films, galt für ihn, die Führerfigur geheimnisvoll und unerreichbar erscheinen zu lassen. Ein Nimbus des Numinosen konnte somit gesichert werden. Hilmar Hoffmann wertet in seiner Analyse nationalsozialistischer Filmpropaganda 'Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit' sogar Hitlers Vorliebe für Flugreisen als Zeichen dessen 'mythischer-Reiter-aus-den-Wolken-Selbstdarstellung'. Die Verfilmung des sechsten Parteitags der NSDAP gab Hitler selbst in Auftrag. Seine große Begeisterung für die Film-Dokumentation 'Triumph des Willens' kann u.a. wohl auch darauf zurückgeführt werden, daß er sein eigenes Ideal in Leni Riefenstahls Darstellung virtuos umgesetzt sah.
 

 
Welche Stilmittel waren es, die diese suggestive Kraft ermöglichten?
 

  Auffällig sind z.B. künstliche Überhöhungen durch extreme Froschperspektiven, wie sie wenige Jahre später auch so wirkungsvoll bei der Inszenierung der Rolle des Citizen Kane von Orson Welles eingesetzt wurden. Kamera und Zuschauer blicken zum Führer auf. Schon damals liess Rieffenstahl dazu eigens Schienen um das Podest des Führers verlegen, damit dessen Reden durch Kamerafahrten dramaturgisch noch mehr Spannung erhielten.

Bekannt sind auch die, in Bildgestaltung und Montage zu enormer Intensität geronnenen Massenaufnahmen im direkten Gegenschnitt zu Nah- und Grossaufnahmen von Adolf Hitler. Befragt zu ihrer Intention dabei, bekennt Frau Riefenstahl, es gäbe ja nur diese zwei Motive - den Hitler und das Volk.

  Damit legt sie Zeugnis über ihre eigene Sichtweise ab: Oben Hitler, unten die Masse. Alternative Sichtweisen, inhaltliche Diskurse und Entscheidungsprozesse unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Strömungen oder Gruppierungen spielen keine Rolle und verdienen als filmisches Motiv daher auch keine Beachtung.

Kommentare fehlen gänzlich. Der Film erzielt seine Wirkung allein aus dem Zusammenspiel von Bildkomposition und Hintergrundmusik. Dadurch erscheinen Truppenaufmärsche und Paraden in Stechschritt z.T. fast ballettartig. Sie selbst nennt diese Ergebnisse - zurecht mit künstlerischem Stolz - tänzerisch. Das bedrohliche oder zumindest doch kriegerische Element, welches marschierenden Soldaten gemeinhin anhaftet, verschwindet hinter überästhetisierter Präzision und grafisch ausgesuchter Bildwahl.

  Das ästhetische Spiel mit militärischen Formationen und die Herausarbeitung des Kontrastes zwischen Führer und seiner Masse waren ihre stilistischen Hauptmittel.

Obwohl künstlerisch unbestreitbar bewundernswert, muß die Wirkung dieser Bilder unter politisch-moralischen Aspekten als geradezu katastrophal bezeichnet werden - solange hierarchische Nuancen und ein gewisses Maß an Individualität als gesellschaftliche Basis anerkannt werden.

Erstmals bei dokumentarischen Aufnahmen, wurden Szenen aus unterschiedlichen Kamerapositionen aufgenommen, um später in abwechslungsreicher Bildregie u.a. mit Unterschneidungen und Gegenschnitten wieder zu einer lebendigen Szene zusammengefügt werden zu können. Wie beim späteren Olympiafilm, waren auch hier 30 Kameraleute im Einsatz.

 
 
 
 
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4.  Veit Harlan (geb. 1899, † 1964)

 

  Zunächst Schauspieler an verschiedenen Theatern in Berlin, meldet er sich 1916 freiwillig in den 1. Weltkrieg an die französische Front. Danach begann die Karriere als Bühnen-Regisseur.

1933 bekannte er sich in einem Interview im "Völkischen Beobachter" öffentlich zum Nationalsozialismus. Ein Jahr später beginnt seine steile Karriere als Regisseur beim Film.

1937 entstand sein erster großer Film 'Der Herrscher', der mit dem deutschen Staatspreis ausgezeichnet wird. Die Geschichte handelt von einem Fabriksbesitzer, der sein Werk nicht der Familie vermacht, sondern der 'Volksgemeinschaft'. Dieser Film verschafft Harlan Zutritt zur Riege der führenden NS-Regisseure.

Nach der NS-Zeit gab es verschiedene Gerichts-Prozesse wegen Harlans Rolle als Aufputscher der Massen gegen Juden. In einem ersten Entnazifizierungsverfahren wurde er entlastet, dann wieder der "Beihilfe zur Verfolgung" angeklagt. Ein strafrechtlich relevanter Zusammenhang zwischen seinem Film und dem von Nazis begangenen Völkermord war jedoch nicht beweisbar.

Danach folgten eine Urteils-Aufhebung und erneute Anklage, weil der Film 'Jud Süss' „ein nicht unwesentliches Werkzeug“ gewesen sei. Letztlich Freispruch aufgrund Harlans Verteidigung, dass ihn eine Weigerung, für die Nazis als Regisseur zu arbeiten, in eine äusserst bedrohliche Lage gebracht hätte.

Vor allem mit seiner Regiearbeit zu 'Jud Süss' schuf Harlan ein filmisch außergewöhnliches Werk mit enormem volksverhetzenden Potential.

  Der Film hat heute Aufführungsverbot und darf somit nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen gezeigt werden.

Im zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit den Novemberpogromen 1938 nahm die antisemitische Propaganda in allen Medien deutlich aggressivere Züge an. Dies betraf auch die Filmwirtschaft. Die Bevölkerung sollte um Verständnis und Unterstützung beworben werden, denn eine neue Phase des Rassenwahns begann - die offene und systematische Judenverfolgung (noch nicht 'Endlösung').

Dementsprechend schreibt Joseph Goebbels nach Lektüre des Manuskripts zu 'Jud Süss' dazu begeistert in sein Tagebuch: "Der erste wirklich antisemitische Film."

  Im einleitenden Zwischentitel wird ausdrücklich Anspruch auf historische Authenzität erhoben. Tatsächlich jedoch wurden die geschichtlich nachweisbaren Fakten teils antisemitisch umgedeutet, teils bis zur Unkenntlichkeit verdreht. Die Figur des jüdischen Kaufmanns Joseph Süss Oppenheimer wird als raffgierige, erpresserische und heimlich auf arische Jungfrauen geile Krämerseele dargestellt, der scham- und gewissenlos über Leichen geht.

Nah- und Großaufnahmen betonen die groteske Mimik und Gestik des gierig und verschlagen wirkenden Hauptdarstellers Werner Krauß, welcher interessanterweise alle jüdischen Nebenrollen des Films besetzt. Mit dieser gewagten Methode konnte ein einheitliches und somit unbewußt sehr eingängliches Zerrbild 'jüdischen Erpresser- und Heuchlertums' gezeichnet werden.

Der Film 'Jud Süss' ist ein extremes Beispiel faschistischer Propaganda-Ästhetik, welche sich hier wie andernorts der manipulativen Kraft von sentimentaler Suggestion, Einfachheit und Wiederholung bediente. Die Schnittechnik benutzt selten optische Überblendungen, sondern vielmehr inhaltliche Kontraste, die durch Musik und Geräusche verstärkt werden. Überblenden schaffen Verbindungen - Kontraste hingegen verdeutlichen Gegensätze, Ab- und Ausgrenzung; in dem Fall Arisches gegen Jüdisches.

Nachdem am Schluß des Films der jüdische Schurke zur Strecke gebracht und öffentlich aufgehängt wird, beginnt es zu schneien. Wie ein Mantel der Unschuld legt sich der reine, weiße Schnee über die finale arische Bluttat.

 
 
 
 
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5.  Ein möglicher Schluß

 

  Es ist tragisch und komisch, wie hier ein verhinderter Maler (Hitler) sowie ein ebenso verhinderter Literat (Dr. Goebbels) mit aller Macht versuchten, der Kunstform Film den freien, kreativen Puls abzupressen, um sie gewaltsam unter ihr psychopathisches Diktat der allumfassenden Manipulation zu zwingen.

Ein verschmähter Liebhaber könnte nicht zynischer sein.

  So blieb dieser Generation von Filmschaffenden in den ganzen zwölf Jahren des Tausendjährigen Reiches wenig Raum, die freigeistigen Impulse der Weimarer Republik weiterzuentwickeln und cineastisch umzusetzen. Vielleicht hätte Kurt Tucholsky den geistigen Winter überlebt und einmal das Drehbuch zu einer Militär-Satire geschrieben, oder oder ...
Nein, komisch ist es eigentlich nicht.
 
 
 
 
 
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6.  Quellen

 

Ray Müller: Video-Dokumentation 'Die Macht der Bilder'

Arthur Maria Rabenalt: 'Joseph Goebbels und der großdeutsche Film'

Hilmar Hoffmann: Filmpropaganda im 3. Reich

Siegfried Zielinski: Veit Harlan - Analysen und Materialien zur Auseinandersetzung mit einem Film-Regisseur des deutschen Faschismus, Frankf./M., 1981

Herbert Prado, Siegfried Schiffner: Jud Süß - Historisches und juristischen Material zum Fall Veit Harlan, Hamburg, 1949

Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln, 2003

http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Kaiser_von_Kalifornien_(Film)